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«Der Wald braucht uns nicht – wir aber ihn»

19.11.2025

Das Thema Waldbewirtschaftung sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Waldökologe Harald Bugmann erklärt: Die Natur ist weitaus komplexer, als die oft vereinfachende Kritik vermuten lässt.

TEXT: MICHEL WYSS; BILDER: LEA MOSER

Herr Bugmann, wir sind im Bremgartenwald, wo im letzten Herbst Waldarbeiten stattgefunden haben. Das Waldbild hat sich stellenweise verändert. Hat das die Bäume «gestresst»?

Wenn Bäume geerntet werden, so destabilisiert das den verbleibenden Bestand kurzfristig. Die Bäume müssen sich daran gewöhnen, dass sie mehr Licht, Wärme und Platz haben. Dieser Anpassungsprozess dauert nur wenige Jahre. Längerfristig – und diese Perspektive ist in Bezug auf Bäume oder Waldthemen allgemein wichtig – profitieren die verbleibenden Bäume: Sie werden stabiler und vitaler.

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Seit über 30 Jahren setzt sich der Waldökologe Harald Bugmann mit dem Ökosystem Wald wissenschaftlich auseinander.

In diesem Waldteil sind alle Bäume geerntet worden und es ist eine Lichtung entstanden. Ist das problematisch?

Waldbaulich ist das vertretbar. Um der allgemeinen Vorstellung eines immer schattigen und kühlen Waldes zu entsprechen, , könnte man auch entlang der Waldstrassen «Baumalleen» belassen. Das ist aber eine Frage der Präferenzen, nicht von richtig oder falsch. Der Vorteil einer grösseren Öffnung ist, dass mehr Licht auf den Boden kommt und eine breite Palette an klimafitten Baumarten gefördert werden kann. Auch wenn das für Waldbesuchende nicht auf den ersten Blick erkennbar ist: Es wächst hier über die nächsten 20 bis 40 Jahre die nächste Generation Wald. Das ist wichtig in Bezug auf die Folgen des Klimawandels mit längeren Trockenheitsperioden, milden Wintern oder Starkniederschlägen.

Bäume nehmen Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und speichern es als Kohlenstoff. Ein Vorwurf ist, dass die Speicherung bei Waldarbeiten über Jahrzehnte stark beeinträchtigt werde. Stimmt das?
Wird Holz geerntet, so reduziert sich die Kohlenstoffspeicherung im Wald kurzfristig. Gleichzeitig wird aber das Wachstum der bestehenden Bäume gefördert. Das heisst, sie nehmen nach dem Eingriff mehr Kohlenstoff auf. Bei einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung, wie sie in der Schweiz Vorschrift ist, wird die Speicherleistung so längerfristig grösser. Wird Holz als Bau- oder Konstruktionsmaterial genutzt, so wird die Speicherkapazität auch ausserhalb des Waldes vergrössert.

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«Die Waldbewirtschaftung unterstützt den Wald darin, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen», sagt Harald Bugmann.

Grössere Öffnungen würden das Waldklima negativ beeinflussen, es werde wärmer und trockener. Ist da etwas dran?
Mit mehr Licht kommt auch Wärme. Das Mikroklima im Wald verändert sich und wird ähnlich wie im Freiland. Die Vielfalt an bestimmten Arten wie Vögeln oder Schmetterlingen nimmt zu. Nach fünf bis zehn Jahren haben die nachwachsenden Bäume das Waldklima aber weitgehend wieder hergestellt.
Werden Bäume geerntet, trifft mehr Regenwasser auf den Boden und die Verdunstung durch die verbleibenden Bäume geht zurück. Auf einer grösseren Öffnung sind die Böden im Vergleich trockener, da mehr Sonnenlicht auftrifft. Macht der Förster oder die Försterin die Arbeit gut, beziehungsweise ist der Eingriff mit Bedacht ausgeführt, so werden die nachkommenden Bäume aber schon bald Schatten spenden und der Wasserhaushalt pendelt sich wieder ein.

Der Forstbetrieb setzt für Waldarbeiten oft schwere Maschinen ein - aus Effizienz- und Sicherheitsgründen und zur Schonung des verbleibenden Baumbestands. Stimmt es, dass diese den Waldboden zerstören?
Beim Einsatz von schwerem Gerät ist es zentral, dass der Waldboden nur stellenweise und bei möglichst trockener Witterung oder im gefrorenen Zustand befahren wird. Der Forstbetrieb arbeitet mit so genannten Rückegassen, die dauerhaft angelegt sind. Das heisst, der Anteil an befahrenem Waldboden ist gering. Mit einem Astteppich auf den Rückegassen wird der mechanische Druck zusätzlich abgefedert. Wenn schweres Gerät fachmännisch und zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt wird, verdichtet das zwar den Boden in den Rückegassen, aber nur punktuell. Wenn es so schonungsvoll gemacht wird wie hier, würde ich bezweifeln, dass das Pilzgeflecht unter der Rückegasse «abgewürgt» wird. Mir sind auch keine wissenschaftlichen Studien bekannt, in denen das nachgewiesen worden wäre. Die Forstwarte und Försterinnen in der Schweiz sind sehr gut ausgebildet. Sie wissen, was sie tun, wie wichtig ein gesunder Waldboden ist und wie sie ihn erhalten. Ich habe auf dem Rundgang in etliche Rückegassen hineingeschaut: Hier wird schonend gearbeitet.

Wird durch die Waldbewirtschaftung der Lebensraum von Tieren und Pflanzen beeinträchtigt?
Verschiedene Arten profitieren von der Waldbewirtschaftung – vor allem diejenigen, die auf Licht und Wärme angewiesen sind. Lichte Wälder werden deshalb als Biodiversitätsmassnahme durch Bundesbeiträge gefördert. Ohne Bewirtschaftung verschwinden sie. Andere Arten sind jedoch auf Schatten, alte Bäume und Totholz angewiesen. Bedingungen, wie sie vor allem in Waldreservaten anzutreffen sind. Artenreichtum braucht vielfältige und abwechslungsreiche Lebensräume, die untereinander vernetzt sind.

Waldbesuchende stören sich teilweise an Brombeere, Brennnessel oder invasiven Neophyten. Sind diese Pflanzen ein Problem?
Wir haben im Wald ein Problem mit zu hohen Stickstoffeinträgen aus Verkehr oder Landwirtschaft. Das begünstigt das Wachstum von bestimmten Pflanzen bei günstigen Lichtverhältnissen. Es kann insofern zum Problem werden, wenn sie nach einem waldbaulichen Eingriff durch ihr starkes Wachstum das Aufkommen von Jungbäumchen behindern. In diesem Fall muss die Konkurrenzvegetation gemäht werden, bis die Bäumchen gross genug sind und Schatten spenden. Dann gehen die lichtbedürftigen Pflanzen von selbst wieder zurück. Dieser Prozess braucht 20 bis 30 Jahre. Langfristig setzt sich immer eine Baumgeneration durch. Leider gibt es keine effiziente Lösung, um den Stickstoffüberschuss im Waldboden zu reduzieren.

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Licht schafft Leben – auch im Wald.

Wie stehen Sie zu den Büchern über den Wald des deutschen Autors und ehemaligen Försters Peter Wohlleben? Waldbaukritische Stimmen berufen sich gerne auf seine Thesen.
Er ist ein begnadeter Geschichtenerzähler und charismatisch. Aus wissenschaftlicher Sicht ist aber vieles, was er schreibt – wie die Mutterbaumthese oder das Wood Wide Web – sehr fragwürdig. Die Argumentationen in seinen Büchern sind an vielen Stellen unlogisch, wenn man sie auf ihren wissenschaftlichen Gehalt prüft.

Waldbaukritische Stimmen befürworten Bewirtschaftungskonzepte wie zum Beispiel die Dauerwaldbewirtschaftung, wo nur einzelne Bäume geerntet werden. Was ist Ihre Einschätzung?
Ich bin kein Fan von einzelnen Konzepten. Sie alle haben ihre Stärken und Schwächen. Ich bin dafür, dass wir – auch auf betrieblicher Ebene - einen Mix von verschiedenen Bewirtschaftungsformen anstreben, die auf die örtlichen Bedingungen angepasst sind. Schlussendlich liegt es in der Verantwortung der Waldeigentümerin, was sie mit ihrem Wald erreichen will. Ich nehme mit Bedauern wahr, dass manche Fachleute, die die Dauerwaldbewirtschaftung befürworten, alle anderen Nutzungskonzepte in ein schlechtes Licht stellen.

Aufgrund des Klimawandels verändert sich der Anteil an Nadel- und Laubholz in den Burgerwäldern. Die als Bauholz geschätzte Fichte geht zurück, natürlich verjüngt wachsen vor allem Laubbaumarten. Was können Waldbesitzende tun?
Bei den Nadelhölzern im Mittelland sehe ich durchaus Potenzial bei Föhre, Weisstanne, Douglasie oder sogar der Küstentanne. Ich bin aber auch optimistisch, was Laubholz als Bau- oder Konstruktionsmaterial angeht. An den Hochschulen passiert derzeit viel Spannendes. Es werden neue Verfahren auf den Markt kommen, die die Möglichkeiten der stofflichen Verwertung von Laubhölzern stark verbessern werden.

Der Holzvorrat im Mittelland geht zurück. Das wird immer wieder als Folge einer zu intensiven Waldbewirtschaftung angesehen. Stimmt das?
Ich rechne grundsätzlich damit, dass aufgrund des Klimawandels der Zuwachs an Holz im Mittelland abnehmen wird. Wenn der Wald aktiv an den Klimawandel angepasst werden soll, sind Eingriffe nötig, um gewisse Baumarten zu fördern. Zudem haben wir in den letzten Jahrzehnten viele Windwürfe und auch Borkenkäfer-Kalamitäten bei der Fichte erlebt. Das hat den Vorrat ebenfalls reduziert. Es kann also zu einer Phase kommen, wo der Holzvorrat zurück geht. Er wird jedoch wieder steigen. Falls der Nadelholzanteil künftig im Mittelland zurückgeht, was ich durchaus für realistisch halte, wird der Holzvorrat nicht mehr so hoch wie heute sein, weil Laubbäume mehr Platz brauchen.

Zur Person
Harald Bugmann ist «Waldmensch» durch und durch. Seit über 30 Jahren setzt er sich mit dem Ökosystem Wald wissenschaftlich auseinander. Er ist seit 2009 ordentlicher Professor für Waldökologie an der ETH Zürich. Schwerpunkte seiner Forschung sind Untersuchungen über die langfristige Dynamik von Waldökosystemen unter Umweltveränderungen.

abgelegt unter: Forstbetrieb

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