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Musikalben-Besprechungen

16.05.2018

Regelmässig besprechen bekannte Beobachterinnen und Beobachter der Berner Musikszene im Medaillon Alben, die mit Unterstützung der Burgergemeinde realisiert wurden.

Tanya Barany: Lights Disappear

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Label: Waterfall of Colours

Weitere Informationen: www.tanyabarany.ch

«Happy music makes me sick», habe Tanya Barany einst auf die Frage zu Protokoll gegeben, ob sie denn wirklich so deprimiert sei, wie es ihre Lieder vermuten lassen. Es ist eine Antwort, die in jedem Pressetext gut sitzt – selbstverständlich auf Englisch. Die aus dem Oberwallis ausgerissene Sängerin hat sich in Windeseile ein zwar noch kleines, aber internationales Publikum erobert. Ganz so deprimierend ist ihre Musik übrigens dann auch nicht.

Eine aussichtslose Mode: Musiken in sad und happy zu unterscheiden – und damit verwertbar zu machen für die Logik des gutgelaunten Morgenradios oder die ideale Spotify-Liste. Das Gute liegt im Dazwischen, die Poesie in den Graustufen, das Subversive im Unberechenbaren. Und Diabetes kriegt, wer nur Zucker frisst. Trotzdem und zugegeben: Tanya Baranys Kompositionen ist ein Hang zum romantischen Defätismus nicht abzusprechen.

Das Album kündigt sich mit einem stilechten Opener an. «In Retrospect» schleicht es sich an, nimmt Fahrt auf und gipfelt in einem ersten orchestralen Manöver. Der Auftakt gehört Frau Baranys warmer Stimme – sie steht im Zentrum, das gibt die Produktion gleich zu verstehen. Bald ist die Welt vorgezeichnet, in der sich Barany und Band auf sieben Songs den Schattierungen der Schwermut widmen wollen. Der elegische Titeltrack
«Lights Disappear» gibt dabei einen schönen Überblick über die musikalischen Vorlieben: Melodiös, narrativ und ganz dem erleuchteten Refrain entgegen entwickeln sich die Songs. Geschickte, hie und da unaufdringlich mit elektronischen Eingriffen gestützte Arrangements, in deren kühles Nest sich die ausdrucksstarke Stimme legen darf. Liedhafter Dunkelpop, Reste einer gut hörbaren Gitarrenmusik-Sozialisation. Und eben: Brüche hie und da. «Dream Crasher» stimmt eine reizvolle Gehässigkeit an und entzieht sich zunächst der sonst recht hemmungslos gepflegten Liebe zur Harmonie. Plötzlich klingt das Unheil an, die Ahnung einer industriellen Kellermusik, in der man sich Barany gern vorstellte. Schade, setzt der Dunkelheit auch hier ein handwerklich solider, glitzriger Popchorus ein Ende. Man wünschte sich im Ganzen ein bisschen mehr Mut zur Körnigkeit, Kratzbürstigkeit, zum Experiment. Die stimmlichen
Möglichkeiten dazu hätte Tanya Barany mit Sicherheit.
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Zum Autor

Der Musiker Mirko Schwab schreibt für den Blog «KulturStattBern».

Baze: Gott

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Label: iGroove
Weitere Informationen: www.baze.ch

Baze, der Existentialist – zwischen den Zeilen scheine Licht aus seinen Texten, rappte ein blutjunger Baze im Jahre 2003 im Song «Himutruurig». Bald werde sein erstes Album kommen und im Leben passiere genug, um glücklich in den Tag zu gehen, verkündete da einer in Aufbruchstimmung. Von dieser ist heute, 15 Jahre und sieben Alben später, beim 38-Jährigen nicht mehr viel zu spüren. Die Party ist ganz offensichtlich vorbei, anstelle des jugendlichen Optimismus hat sich Ernüchterung breit gemacht im Hause Basil Anliker, wie Baze mit bürgerlichem Namen heisst.

Wie bereits auf «Bruchstücke» (2016) widmet sich Baze auch auf seinem soeben erschienenen Album «Gott» Menschlichem und Allzumenschlichem und zieht sprachgewaltig und bildstark Bilanz daüber, was ist und was vielleicht noch kommen wird. «Viels ligt hinger mir / und i Narr ha gmeint i heigi z’haube Läbä verpasst / wöui duss bi ga rouche / Viu ligt no vor mir / und i ma nid warte, wirde no oft im Räge sta / wöui duss muess ga rouche.» (Voruss)

War «Bruchstücke» noch der Soundtrack zum Lebensfilm verlorener Seelen, so richtet Baze auf «Gott» den Fokus aufs eigene Dasein und Erlebte. Dabei sind es wiederum die existentiellen Grundfragen, die er in seinem unverkennbaren eigentümlichen Sprechgesang abhandelt. Über einem tieftonigen elektronischen Teppich, den Baze mit Ben Mühletaler und Roger Massimo entworfen hat, sinniert er über Freundschaft, Liebe, Trauer, Hilflosigkeit und Verlust, wobei die abgebildete Welt eine nebelverhangene,

resonanzlose und unmenschliche ist. Auf «Gott» wird ein Zeitgeist kritisch beleuchtet, der Menschen vereinsamen oder auf fahrende Züge aufspringen lässt, obwohl doch besser die Notbremse gezogen werden müsste. Dabei wird auch die eigene Sinnentleertheit entlarvt und das Individuum auf sich selber zurückgeworfen: «I kennä niemer ussert mi», hält Baze in «Schtoub» fest.

«Gott» berührt, weil Baze in seinen feinsinnigen und schonungslos ehrlichen Schilderungen kleiner Alltagsgeschichten die grossen Themen verhandelt, die uns alle beschäftigen. Sie steht ihm gut, die Rolle des Existentialisten, weswegen «Gott» getrost zum Besten gezählt werden darf, was die Welt der Mundartmusik derzeit zu bieten hat.
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Zur Autorin
Gisela Feuz ist Kulturredaktorin bei Radio RaBe und schreibt u.a. für den Bund.

Trummer: Trummers Labor 1: Amne sichere Ort

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Label: Tourbo Music
Weitere Informationen: www.trummeronline.ch

Auf seinem neuen Album «Amne sichere Ort» verführt der Frutiger Singer-Songwriter und Geschichtenerzähler Trummer seine Hörerinnen und Hörer in sein feines, fast ätherisches Reich. In neun Liedern führt die Reise zu ungewohnte Orten der menschlichen Psyche. Trummers erfrischende Songs zeichnen sich durch enormen Gefühlsreichtum, Offenheit und Intimität aus. Man wird umgehend von deren Vertrautheit, Nähe und Aufrichtigkeit ergriffen. Dennoch wird die fliessende Grenze zur Indiskretion nie überschritten. Die poetischen und erneut auf Berndeutsch vorgetragen Lieder besingen die traute Heimat und sind doch von beinahe grandiosem Weltformat. In Trummer einen Melancholiker zu vermuten, ist wohl nicht abwegig. Denn «Amne sichere Ort» ist nämlich «chanson après chanson»: Melancholie pur.

Bloss wenige Schweizer Musiker haben den Mut zu soviel Authentizität, sowohl in textlicher wie auch in musikalischer Hinsicht. «Labor1: Amne sichere Ort» ist daher Balsam für die Seele. Mit raffinierter Simplizität zaubert Trummer magische Augenblicke ins Hier und Jetzt. Die neuen Songs funktionieren überdies auch live ausserordentlich gut. Die atmosphärischen Klänge und Trummers angenehm wohltuende Stimme fesseln die Hörerinnen und Hörer auf Anhieb und bringen sie unverzüglich «Ane andere Ort».

Thematisch bleibt Trummer dem Zeitlosesten nach wie vor treu: der Liebe. Auch sein Standpunkt zum Thema bleibt unverändert. Er bemüht keineswegs die «Amour fou», sondern ergründet die Liebe in ihrer reiferen und beständigeren Form. Diejenige des Hafens der inneren Ruhe, des Zufluchtsorts in harten Zeiten oder die eben den sicheren Ort darstellt, wo man Fuss fassen und Atem schöpfen kann.

Musikalisch hat Trummer auf dem neuen Album keinerlei Berührungsängste, mit verschiedenen Stilrichtungen zu flirten, und setzt mit Bedacht ein gut gewähltes Instrumentarium ein. Das Ergebnis ist eine harmonische und originelle Mischung, welche die Aufmerksamkeit der Hörerschaft von der ersten Sekunde an unwillkürlich fesselt.

Trummers neues Album ist eine kohärente, selbstbewusste und couragierte Liebeserklärung aus Herzenstiefen. Mit Finesse und Geschick verleiht er Alltäglichem die Aura unvergesslicher und wertvoller Momenten. (Serge Berthoud)

 

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Zum Autor
Musik-Aficionado Serge Berthoud führt in Bern den kultigen Plattenladen Serge and Peppers.

I Made You A Tape: Proud and Young

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Label: Blaublau Records
Weitere Informationen: www.imadeyouatape.be

Die Berner Rockband I Made You A Tape hat mit «Proud and Young» ein kühnes erstes Studioalbum eingespielt. Stolz und jung? Ist das nicht der Gemütszustand überheblicher Kids, die ihre schicken Klamotten in schmuddeligen Clubs vorführen? Die, welche am Sonntagmorgen nicht mehr wissen, was in der Nacht zuvor passiert ist, und das dann toll finden? «Proud and Young» also: Diesen Namen hat sich das Rockquartett I Made You A Tape für ihr Album ausgesucht. Der Titel aber ist eine Falle.

Da wird nicht etwa besungen, wofür die Jugend nichts leisten musste: ihr erst unverschämt kurzes Dasein auf diesem Planeten und die damit verbundenen Privilegien. Nein, diese Musik bespielt den Abgesang auf den Kontrollverlust im Halbdunkeln. Da tönen weit ausholende Gitarren (Niklaus Hostettler), retroromantische Elektronika (Sibill Urweider), hochtrabendes Schlagzeugspiel (Mirko Schwab), bleischwere Basslinien (Belinda Arestegui) und viele, viele Halleffekte.

Tatsächlich hat alles mit Kassettenaufnahmen begonnen, damals im Jahr 2014. Mit aufwendiger Instrumentierung stellte sich diese Band auf die Bühne, um die grossen Rockgesten anzusteuern – ein für unsere minimalistische Laptopmusik-Zeit selten gewordenes Phänomen. Die Folge der musikalischen Geschäftigkeit ist dieses Studioalbum, welches mit Unterstützung der Produzenten Stefan Allemann (Death by Chocolate) und Michael Galluser (Stahlberger, Lord Kesseli & The Drums) eingespielt wurde.

Sich dieses Album anzuhören, bedeutet auch, in einen Topf voller Desillusion zu fallen. Und wo diese herrscht, sind Referenzen an die musikalische Kälte der 80er- Jahre selten fern. I Made You A Tape zitieren sie mit analogen Synthesizern und Sibill Urweiders Stimme, die in verzweifeltem Sopran singt: «Ich bin so verdammt jung, dass es wehtut!». Auch der Grunge findet seinen Weg (Just A Word) in das Liedgut der Band. Da gibt es harte Gitarren, die in der Popmusik selten geworden sind. Unschuldige Kinderlieder-Akkorde («Shards») folgen auf böse Schläge und hässige Gitarren («One- Way Mirror»). Woher kommt die Melancholie? Ist das Wohlstandsverwahrlosung? Falls ja, tönt sie unverschämt gut. Es ist die Musik einer uneitlen Jugend, die nichts weniger im Sinn hat, als die Welt zu erobern. Allen Zweifeln zum Trotz. (Milena Krstic)

 

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Zur Autorin
Milena Krstic macht Musik und schreibt als freie Journalistin u.a. für den Bund.

Weitere Informationen.

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